Thomas, 32Jahre, Anästhesist am Uniklinikum Dresden


Wie erlebst Du den Umgang  mit Patient*innen in der momentanen Lage?

Ich erlebe den Umgang mit Patient*innen aktuell als durchweg positiv. Die mir anvertrauten Patient*innen erfahren die gebündelte Expertise unserer Klinik.


Fehlt es an etwas? Was sind gerade die größten Probleme?

Wenn es an etwas mangelt, dann ist dies sicherlich die Erfahrung im Umgang mit dieser speziellen Erkrankung, die sich nach unserem bisherigen Erleben eben doch von einem ARDS anderer Ätiologie unterscheidet. Wir müssen von Tag zu Tag neu aufmerksam sein und versuchen Probleme frühzeitig zu antizipieren. An Personal oder Material fehlt es aktuell nicht, aber dies ist sicherlich nur eine Momentaufnahme aus der Intensivstation einer Universitätsklinik.

 

ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome)
Schweres Krankheitsbild bei dem es infolge von verschiedenen schädigenden Einflüssen in der Lunge zu einer starken Einschränkung der Sauerstoffanreicherung kommt. Dies kann zum Beispiel bei einer Lungenentzündung auftreten.

 


Wie sieht Dein (Arbeits-)Alltag momentan aus und was hat sich verändert?

Aktuell arbeite ich auf der anästhesiologischen Intensivstation der Uniklinik Dresden und dort ganz speziell – bis auf wenige Tage ausgenommen – nur in der, eigens für die beatmungspflichtigen Corona-Patient*innen eingerichteten, Abteilung.
Mein Arbeitsalltag ist also einerseits geprägt von einer gewissen Einseitigkeit, da ja alle Patient*innen dieselbe Grunderkrankung haben, andererseits steht er aber auch im deutlichen Kontrast zur normalen Arbeitsroutine, auf der, ansonsten sehr operativ geprägten, Intensivstation. Neben all den Einschränkungen und Änderungen im Arbeitsalltag, durch die strengen Hygienemaßnahmen und die hohe Belastung durch die schweren Krankheitsverläufe, nehme ich paradoxerweise aber auch viele positive Aspekte wahr.
Zu nennen ist hier einerseits der Versorgungsschlüssel. Da wir aktuell nicht alle Betten belegt haben, wir aber das Personal für eine volle Belegung vorhalten, bleibt mit einmal die Zeit für jede*n einzelne*n Patient*in, die, meiner Meinung nach, auch im normalen Betrieb für jede*n zur Verfügung stehen sollte. Ich stelle fest, dass ich Zeit habe, proaktiv tätig zu werden und nicht, wie sonst so oft, nur reagieren muss. Dadurch verbessert sich die Versorgungsqualität der einzelne*n Patient*innen merklich.
Andererseits ist auch die Kommunikation zwischen Ärzt*innen und Pflegenden entscheidend verbessert und man hat Zeit, sich über die verschiedenen Blickwinkel auf die Patient*innen auszutauschen und gemeinsame Behandlungspläne zu erarbeiten, in denen wirklich alle Beteiligten sich auf demselben Informationsniveau befinden. Einzelne Pflegekräfte haben mir bereits rückgemeldet, sie hätten durch diese besondere Situation den Sinn in ihrer Arbeit wieder gefunden und auch ich muss feststellen, dass sich hier eine Art Medizin abzeichnet, für deren Ideale ich begonnen habe zu studieren.


Was wünschst Du Dir aktuell? Könnte etwas besser laufen?

Sicherlich sind die Abläufe im Moment noch sehr im Fluss und wir lernen von Tag zu Tag neue Aspekte, bzw. entdecken Potential für Verbesserungen. Prinzipiell muss ich jedoch feststellen, dass der Ablauf unter den aktuellen Umständen beinahe reibungslos funktioniert.


Machst Du Dir Sorgen im Arbeitsalltag oder bezogen auf die Zukunft?

Ich mache mir Sorgen, ob es möglich sein wird einige der “positiven” Aspekte der neuartigen Situation in die, sicherlich irgendwann wieder einkehrende, Normalität zu übertragen.
Bezüglich unserer eigenen Gesundheit und einer evtl. Ansteckung mache ich mir, angesichts unserer Schutzausrüstung wenig Sorgen.


Hast Du Forderungen oder Ideen für ein Gesundheitssystem nach Corona? Was sollte sich langfristig ändern?

Für eine Zeit “nach Corona” fordere ich, wie auch schon vor dieser Zeit, eine Abkehr vom DRG-System in seiner jetzigen Form, eine Absage an das Primat der Gewinnorientierung in solch kritischer Infrastruktur, wie dem Gesundheitswesen und eine Medizin die Patient*innen und deren Willen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt und eine Wiederbelebung des medizin-ethischen Diskurses, insbesondere in Anbetracht einer Hochleistungsintensivmedizin, wie sie die Politik aktuell als Ausweg aus der Corona-Krise anbietet.


DRG-System (Diagnosis Related Group)

Abrechnungssystem für die stationäre Krankenhausbehandlung. Hierbei werden Patient*innen unabhängig von, z.B. deren Verweildauer, pauschalisiert. Das bedeutet, dass anhand der Diagnose die Zuordnung einer „Fallpauschale“ erfolgt. Diese „Fallpauschale“ entscheidet über den Abrechnungsbetrag und ist für jede Person mit derselben Diagnose gleich. Aufgrund dieser Gruppenzuordnung können individuelle Ansprüche in der Behandlung nicht berücksichtigt werden.