Liebe Alle,

ist es nicht toll, dass wir dank ständiger Entwicklung von Medizin und Wissenschaft Krankheiten heilen können, deren Diagnose vor Jahrzehnten aussichtslos war?
Erst dieses Jahr konnte der dritte HIV-positive Blutkrebs-Patient überhaupt von beiden Erkrankungen geheilt werden.1
Aber es gibt eben auch Schwachstellen in unserem Gesundheitssystem, die wir – trotz der medizinischen Erfolge – nicht aus dem Auge verlieren dürfen.

HIV
Dank moderner Therapien erleben Menschen mit HIV kaum Einschränkungen mehr durch die Infektion selbst. Trotzdem werden sie immer noch stigmatisiert, wie zum Beispiel bei der Polizei. Diese schließt noch immer HIV-positive bei der Bewerbung aus.2
Wir brauchen Projekte, die Prävention ganzheitlich und unter Beachtung der Selbstbestimmung umsetzen! Safer Use und Safer Sex tragen dazu bei, vor HIV und anderen Infektionen zu schützen. Regelmäßige HIV-Weiterbildungen für soziale und medizinische Berufsgruppen müssen Pflicht werden. Im Gesundheitskontext definierte Risikogruppen müssen angepasst werden.
Wir alle sind Menschen, wir alle sind ein Risiko!

Selbstbestimmung
Und wir alle haben das Recht auf Selbstbestimmung! Stimmt doch eigentlich, oder?
An dieser Stelle müssen wir über reproduktive Rechte sprechen. Diese umfassen – Erstens – die freie Entscheidung, ob und wie viele Kinder eine Person bekommen möchte und – Zweitens – die dafür nötigen Informationen, Kenntnisse und Mittel zu erhalten.3
Aber warum ist es überhaupt so wichtig, darüber zu sprechen?
Fehlende Verhütungsmittel können zu unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen führen. Daran sterben laut WHO jährlich 39.000 Schwangere weltweit.4
Und jetzt kommt ‘s: Wusstet ihr, dass in Europa fast die Hälfte der Schwangerschaften ungeplant sind? Umso schlimmer, dass es in vielen Ländern total schwierig ist, eine Schwangerschaft abzubrechen. In mehr als zwanzig Ländern sind Schwangerschaftsabbrüche sogar komplett verboten.3

Dabei ist bewiesen, dass ein Verbot nicht dazu führt, dass weniger abgebrochen wird. Es passiert nur dann im Geheimen unter unsicheren und manchmal sogar lebensgefährlichen Umständen. In Deutschland steht der Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich durch Paragraph 218 unter Strafe und ist nur in Ausnahmefällen erlaubt.5

Wie der Zugang zu Abbrüchen emanzipiert, rechtlich korrekt und würdevoll geregelt werden kann, zeigt Kanada. Es ist das erste und einzige Land weltweit, in dem es kein nationales Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen gibt.3

Man sieht: Es gibt Wege, diese medizinischen Eingriffe ohne Strafgesetze zu regeln – auch wenn das für Abtreibungsgegner*innen schwer vorstellbar ist. Deswegen fordern wir, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht mehr unter Strafe steht!
Wir fordern die Aufhebung von Paragraph 218!
Wir wollen einen Zugang zu sicherer Verhütung für jede Person!
My body – my choice!

Ökonomisierung
Und kein System sollte diesen Grundsatz zur Selbstbestimmung einschränken dürfen. Genauso, wie kein System finanzielle Interessen über Menschlichkeit stellen darf. Aber leider passiert genau das in unserem Gesundheitswesen, was zu vielen Problemen führt, von denen wir kurz auf drei eingehen wollen.

1. Wir beginnen mit der geplanten Krankenhausreform:
Karl Lauterbach will weiterhin an den Fallpauschalen festhalten. Das sind die Festbeträge, welche die Kliniken für bestimmte Diagnosen und Maßnahmen von den Krankenkassen erhalten. Genau die sind aber seit Jahren so gefährlich für unsere medizinische Versorgung.6

2. Privatisierungen stellen nicht nur in der Kliniklandschaft ein Problem dar.
Auch ambulante Praxen werden zunehmend von profitorientierten Unternehmen aufgekauft. Oberstes Ziel: Kosten sparen und Gewinne erzielen. Die Beschäftigten leiden und fast schlimmer noch: Patient*innen auch. Dieser Prozess muss gesetzlich geregelt und gestoppt werden.

3. Als Gesundheit definiert die WHO nicht nur körperliches Wohlbefinden.
In den letzten 20 Jahren hat sich der Bedarf an Psychotherapie verdoppelt, Corona, Klimakrise und geopolitische Konflikte tun ihr Übriges.7 Und trotzdem wurden aus Kostengründen bei weitem nicht genügend Sitze genehmigt! Bis zu neun Monate auf einen Therapieplatz warten darf keine Option mehr sein.8

Doch wie geht es besser?
Finanzierung ist das entscheidende Stichwort.
Die Idee mit der Bürgerversicherung von SPD, Linke und Grünen war doch eigentlich ein guter Ansatz. Eine einzige Kasse für alle. Nichts mehr mit Privatversicherung für die Reichen!

Aber nein: Zu viel Gerechtigkeit und zu viel Solidarität rentieren sich eben nicht.
Und das ist das Problem.
Deshalb muss das System verändert werden, bis sich genau solche Werte lohnen!

Profit heilt keine Menschen!
Wir fordern ein faires und sicheres Gesundheitswesen, bei dem Individualität und Menschlichkeit an oberster Stelle stehen!

Quellen

1 „Düsseldorfer Patient: Dritter HIV-Patient durch Stammzellübertragung geheilt”, Zeit Online, 20. Februar 2023, https://www.zeit.de/gesundheit/2023-02/duesseldorfer-patient-hivkrebs-heilung-stammzellentransplantation, zuletzt abgerufen am 05.05.2023.

2 „Polizei muss HIV-positiven Mann als Bewerber zulassen” https://www.spiegel.de/karriere/wegen-hiv-erkrankung-polizei-lehnt-bewerber-aba-1277900.html, Spiegel, 18. Juli 2019, zuletzt abgerufen am 05.05.2023.

3 Agena, G. A., Hecht, P. H. & Riese, D. R. (2022). Selbstbestimmt Für reproduktive Rechte. Verlag Klaus Wagenbach.

4 „Nach hoher Todesrate: WHO veröffentlicht Richtlinien zu sicheren Abtreibungen”, RND, 3. September 2022, https://www.rnd.de/gesundheit/who-hohe-todesrate-bei-abtreibungenneue-richtlinien-sollen-eingriff-sicherer-machen-RZNXIW4E5GH7VJ76BRFAFLG7TU.html, zuletzt abgerufen am 05.05.2023.

5 Schwangerschaftsabbruch nach § 218 Strafgesetzbuch”, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 24. April 2023, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/schwangerschaft-und-kinderwunsch/schwangerschaftsabbruch-nach-218-strafgesetzbuch-81020,zuletztabgerufenam05.05.2023.

6 „Krankenhaus-Reform: Qualität und Angemessenheit als Kriterien für Krankenhaus-Reform”, Bundesregierung, 6. Dezember 2022, https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/krankenhaus-reform-2150196, zuletzt abgerufen am 05.05.2023.

7 „Krankenkassen blockieren sachgerechte Reform der Bedarfsplanung”, Bundes-Psychotherapeuten-Kammer, 16. Mai 2019, https://www.bptk.de/krankenkassen-blockieren-sachgerechte-reform-der-bedarfsplanung/, zuletzt abgerufen am 05.05.2023.

8 „BPtK-Auswertung: Monatelange Wartezeiten bei Psychotherapeut*innen”, Bundes-Psychotherapeuten-Kammer, 29. März 2021, https://www.bptk.de/bptk-auswertung-monatelange-wartezeiten-bei-psychotherapeutinnen/, zuletzt abgerufen am 05.05.2023.